Story Without Words — German Text

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GESCHICHTE
OHNE WORTE
60 HOLZSCHNITTE
VON
FRANS MASEREEL
EINLEITUNG VON MAX BROD

KURT WOLFF VERLAG / MÜNCHEN

1.-5. Tausend

Gedruckt im Jahre 1927 vom Bibliographischen Institut in Leipzig / Einbandzeichnung von Emil Preetorius / Printed in Germany / Copyright 1927 by Kurt Wolff Verlag A. G., München

EINLEITUNG

Die Geschichte eines besonders spröden und bösen Mädchens hat uns Masereel hier gestichelt, einer falschen Katze, wie sich denn auch dieses hübsche, saubere, aber verrufene Tier wiederholt symbolisch in der Bildfolge zeigt. Die Geschichte eines falschen argen Tierchens also - und es geschieht ihr schon ganz recht, der Dame, daß sie zum Schluß im Regen nackt dasteht und ohne Regenschirm obendrein! Aber ganz böse können wir ihr doch nicht sein. Nicht so bös etwa, wie wir einem Strindbergschen Weihe (nach Absicht des Dichters) sein müssen. Dazu ist die Masereelsche Frau doch mit zu viel Verehrung und Verliebtheit behandelt, vom Holzschneider selbst, der ihren zierlichen jungen Leib förmlich hitzespendend durch das nur scheinbarstarre und harte Kleid sich hindurchschmiegen läßt, und von seinem Doppelgänger, dem jungen Menschen, der vor so viel Schönheit geradezu hilflos und verrückt wird. Den ganzen Liebeszauber hat Masereel in diesen Blättern aufgetan, sinnlich fühlbar gemacht; aber freilich nach Art einiger alter Weisheitslehrer und Dämonologen, die von der Liebe immer sprachen als von einer schlimmen Verzauberung, aus der schmerzliches Erwachen erfolgen müsse. Oder, um das Aperçueines geistreichen Freundes anzuwenden, der ein sehr bekanntes lateinisches Sprichwort auf folgende Art variierte: Ante coitum onme animal Tristan.

Man würde sehr fehlgehen, wollte man in der schmerzlichen Schluß-Enttäuschung unserer „Geschichte ohne Worte“ die eigentliche Wahrheit Masereels, gewissermaßen seinen erhobenen Zeigefinger sehen. Vor dieser moralisierenden Auffassung zu warnen - das ist der eigentliche Grund, weshalbich dieses Vorwort schreibe, statt die so ungemein ausdruckskräftigen Striche und Lichter des Bildners für sich allein reden lassen. Es kann nicht nachdrücklich genug darauf hingezeigt, ja hingestoßen werden, daß dem Band als Titel die Worte „Geschichte ohne Worte“ vorgesetzt sind. „Romans sans images“ nennt aber Masereel alle seine Werke. Somit ist diese Geschichte nur eine von vielen. Und Masereel hat nicht, wie die Schlußszene etwa vermuten lassen könnte, einen neuen repräsentativen Mythos von Adam und Eva dichten wollen („Und sie waren beide nackt und schämten sich voreinander“), hat keine Regel aufgestellt, um die Beziehung der Geschlechter ein für allemal unter sie zu subsumieren -- sondern die Sache liegt viel komplizierter: bei allem Hinblick auf eine Art von Allgemeingültigkeit des geschilderten Sonderfalles (dieser Hinblick fehlt durchaus nicht ganz, obwohl ich es mir ja recht gern eingeredet hätte, daß keine Spur von ihm zu finden ist) verliert Masereel doch niemals das Gefühl, daß es sich hier eben doch nur um einen Sonderfall handelt - und einen recht sonderbaren noch dazu; denn nicht alle Mädchen (glücklicherweise) benehmen sich wie diese eigensinnige belle dame sans merci, die dem Autor wie zufällig ins Blickfeld gelaufen ist, und nicht alle liebenden Männer quittieren die schließliche Hingabe der ersehnten Frau mit Ekelgefühl. Und um das nur recht klar zu zeigen, sei gleich ein anderer Bildroman BI asereels auf geschlagen, sein Selbstbekenntnis, sein „Stundenbuch“! Da findet man eine Episode rührenden Glücks nach dem Erwachen aus sinnlichem Rausch, erlebt mit die Dankbarkeit des Jünglings, dem die Früchte der Liebe gereicht wurden und der nun in hymnischem Aufruhr durch die nächtlichen Straßen läuft, die Aureole des Übersinnlichen ums Haupt. Übersinnliches, dessen man durch tiefes Erleben der Sinnenwelt sich bemächtigt - dieses „Diesseitswunder“ fehlt durchaus nicht in Masereels Welt und Werk. Von der Geliebten kommend, legt der Mann, gebender Seligkeit voll, eines müden Droschkengauls Kopf an seine brüderliche Wange, beschenkt die Armen, hilft einem Wagen nach, um die gepeitschte Mähre zu entlasten, füttert die Vögel, führt behutsam ein Krückenweiblein über die Gasse und ergötzt mit Spielen und Märchen entzückte Kinderhorden. Es wäre durchaus erwünscht, wollte der Beschauer die aufmunternden Blätter des „Stundenbuches“ neben die depressiven Ausklänge dieser „Geschichte“ breiten! Er gewänne dann den richtigen Überblick über die Weite, die Masereels Seele umspannt. Neben hellster Freude, rückhaltlosem Sichhingeben - die ewige Wirklichkeit der Leiden. Sie darf nicht fehlen. Gerade in ihr bewährt sich, wer sich völlig ohne Sicherungen und in süßestem jungen Vertrauen dem Leben an die Brust wirft. Und unser Freund Masereel wäre nicht der fröhliche, starke, immer sprungbereite, gütig voranstürmende Lebenskerl, als den wir ihn lieben, wenn er nicht mit gleicher unbedenklichkeit den schwersten Rückschlägen und Enttäuschungen des Daseins offen stünde wie seinen derbsten Genüssen und himmlischsten Aufschwüngen. So aber, wie er ist, hat ihn Romain Bolland in seinem schönen Vorwort zum „Ulenspiegel“ (einem Werk, in dem Masereels Linien wiederum zum Preise einer ewigen frohen Liebe erklingen) treffend gezeichnet als Mischung zweier entgegengesetzter Elemente, die auch in de Coster selbst durcheinandertoben: Lebenshunger stolz und grenzenlos, dazu „die finsteren Dämonen der Seele -- unerbittliche Gewaltsamkeit und schwere Melancholie“.

Die Melancholie darf nicht fehlen. Wir sagten es - und da ist sie! Vergängliche unfrohe Liebe - nach der ewigen guten, an die wir eben noch vorbeugend erinnert haben. Aber so einfach ist nun allerdings das Leben nicht, daß sich die beiden Sorten mühelos wie Warengattungen unterscheiden ließen. Sondern ganz wie ein hohes Liebeslied beginnt die Ballade der Enttäuschung. Erste Begegnung : Heiligenschein um den Kopf der Frau, zuckender Blitz schlägt ein in die Gestalt des Mannes, wie in einer andern Bildfolge Masereels derselbe Blitzschlag die Geburt der „Idee“ verkündet. So nah benachbart sind tierische Bezirke denen des höchsten geistigen Waltens. Doch wird man freilich einen Oberton der Ironie nicht überhöern dürfen, der von Anfang an unsere „Geschichte“ überschwingt. Die Frau hat in ihrem erstaunten Lächeln sofort etwas Arlistiges; und der Mann legt die Finger an die Lippe, als handle es sich um irgendeinen Leckerbissen. Zwischen Naschhaftigkeit und Sehnsucht pendelt sein Gefühl. Allerdings setzt nun das ein, was Stendhal den „Kristallisationsprozeß“ genannt hat. Um das eingetauchte Zweiglein schießen die mineralischen Elemente der Salzlösung an. Das Gefühl des Mannes bereichert sich aus seiner Phantasie hervor, bald ist der Gegenstand seiner Zuneigung verschönert, vergrößert, überglitzert. Von der ursprünglichen banalen Naschhaftigkeit, dem Lippendienst ist bald nichts mehr zu merken. Sondem wie die Angebetete sich streng abwendet, zieht der Jüngling sein Herz hervor. Jetzt hat ihn Leidenschaft ergriffen. Das Mädchen wird zum stolzen Pfau. Vergebens Deklamation, Schmuck, Kniefall, bei dem zum erstenmal die Leidensfurche an die Mundwinkel des Verliebten rührt. Ist es nur zufällige zeichnerische Verwandtschaft, die ihn, wenn das Mädchen gleichgültig zu ihrer Rose riecht, dem Urbild allen Schmachtens, dem Pierrot lunaire anähnelt? Doch wir sind erst in den Vorstadien des großen Sturmes. Noch hat der Werbende Besonnenheit, Überlegenheit genug, ein lockendes Souper anzubieten. Er dünkt sich dabei weiß Gott wie schlau; aber die Abfuhr, die er erlebt, ist so gründlich, daß das Mädchen (wie dann öfters) zum Zeichen ihrer vollständigen Ablehnung zur Hälfte aus dem Bildrahmen hinausspaziert. Ein Blumenbukett, in altmodischer Manschette überreicht, sieht sie gar nicht erst an. Das kluge Jungenslächeln beginnt zuersterben. Sterne, Raketen, Sonnensysteme, Nebelwirbel werden beschworen, -- zu solch kosmischer Lyrik macht das Fräulein eine Miene, die wohl nicht ganz mit Unrecht tiefstes Mißtrauen und auch ein wenig Ershrecken, Bedauern, Mitleid (nicht mit dem Mann, nur mit seiner Art, sich so völlig im Ton zu vergreifen) an den Tag legt. Die Gegensätze berühren einander: er läßt nun reale Geldmünzen klimpern. Das Börsenpalais im Hintergrund. Die Ablehnung des Mädchens bemüht mit Erfolg engelhafte Nuancen - und du, Mann, bist ein Schurke. Mit Geld willst dn kaufen, was nur durch Einsatz der ganzen Person . . . Gut, die ganze Person wird eingesetzt. Zunächst weint sie, diese arme Person. Und dann verfällt sie in sorgenvolles Brüten. „Es ist ja immer dasselbe“, schreit die Dame, deren Ansprüche, wie man sieht, schwer zu befriedigen sind. „Ein Papagei könnte nicht anders reden als du. Immer dasselbe, immer dasselbe.“ Ab aus dem Bildrahmen. Jetzt versucht es der Mann mit überlegener Ironie. „Wer bist du eigentlich, Mädel, daß du dich so aufspielst?“ Ihrer Ubermacht bewußt lächelt sie mit schiefem Mündchen, wartet, schweigt. „Und wenn ich als Minister käme? Oder als abgefetzter halbverhungerter Bettler?“ Die Maskerade imponiert ihr ganz und gar nicht, wirkt nur abstoßend. „Aber im Naturzustand müßte ich wohl kommen, nackt, wie Gott mich geschaffen hat.“ Auf priapische Attacken erwidert das Mädchen mit jüngferlicher Keuschheitsgeste, nicht ohne zwischen den Fingern hervor, die sie über die Äuglein schlägt, lüstern neugierig auf die immerhin interessante Pracht zu blinzeln. Aber sie hält sich, verliert keinen Moment lang die Selbstbeherrschung. Was nun? Großes Fragezeichen. Der Mann weist den Bizeps vor, produziert Handstand und Schlangenmenschenkunststücke. Über solchen Ulk lacht die Dame recht herzlich. Das Grausige in der Absonderlichkeit, die Selbsterniedrigung merkt sie gar nicht. Auch über Kometen und Saturnringe würde sie lachen, das hausbackene Philistergeschöpf, dem leider Gottes ein so schöner Körper samt dazugehörigem herrlichen Duft gegeben ward. Dieses Blatt, auf dem der Mann in seiner Verrenkung demütig auf der Erde hockt, mit erwartungsvollem Blick wie zu einer Göttin aufblickt, hoffend, sie werde begreifen, wie tief er sich vor ihr niedergebeugt hat, bis zu den Kröten hinab, und sie werde daraus die Fülle seines Liebesgefühls ermessen - dieses Blatt soll man sich recht genau ansehen. Man erträgt dann leichter das bittere grelle Lachen der Schluß-Tragigroteske. Doch noch sind wir nicht so weit. Noch muß der Liebende sein ganzes Inferno vergeblicher Werbung abschreiten. Und schleppt er auch ganze Häuserblocks auf den Schultern, um zu Ehren seiner Holden seinen Schweiß zu vergießen - er wird abgelehnt, abgelehnt. Gewogen und zu leicht befunden. Der Katergesang der Sinnlichkeit verfängt ebensowenig wie unbeherrschter Wutausbruch. Mit dem Dolch in der Hand geht er auf sie los. Aber nun wächst sie, ist die verfolgte Unschuld, das heilige Reh, vor dem diesem neuen Hubertus die Mordwaffe entsinkt. Man überhöre auch hier die Ironie nicht. Aber sie ist ja kaum zu überhöern. Satanisch lustig macht sich Masereel über die ewig Lockende, ewig aus den Augenwinkeln Anrufende, die nun mit einemmal als Heilige dazustehn beliebt. Vor Kathedralen-Kulisse. Nur der von Brunst umnebelte Held fällt auf solche Mätzchen herein. Schon liegt er auf den Knien, kriecht auf allen vieren. Im Hintergrund aber verfolgt läufige Hundemente eine Hündin. Es muß alte Holländer geben, die Ähnliches (vielleicht nicht im Motiv, aber dem Gefühl nach ähnlich) mit unverhülltem Spott kraß hingemalt haben. Fußtritt, Alkohol, Säuferwahnsinn sind die Stationen, die zur Entscheidung führen. Verfallen, gealtert, gänzlich zerrüttet, ist der Ärmste zum Selbstmord reif, schon hat er die Schlinge in der Hand - die Frau zeigt die Schere, als glaube sie seinen Entschluß nicht. Erst wie er ganz wirklich und unleugbar die Spitze des Messers auf seine Brust setzt (und das abgezehrte Gesicht zeugt vom tiefsten Ernst seiner Absicht) - erst jetzt glaubt die Frau, seiner sicher zu sein. Und wendet sich ihm mit einem Lächeln zu, in dessen Zärtlichkeit (und dennoch Unschönheit zugleich) Masereel seine ganze Kunst gelegt hat, einen sehr zusammengesetzten, sehr vieldeutigen Seelenzustand zu schildern. Das Folgende mag man als einfache Erkenntnis auffassen, daß Paris eben doch keine Messe wert war, oder als besonderen Hinweis, daß man mit einer solchen Frau am wenigsten leben kann, die sich so blöd benommen und übervorsichtig Sicherungen verlangt hat, wo einzig das gegenseitige Gefühl instinktiv zu erlauschen gewesen wäre. Kurzes Glück, das Sterne und Monde zu fassen wähnt. Dann die Katastrophe. Omne animal triste. Die Rollen sind vertauscht. Ein nicht ganz ritterlicher Hohn auf die einst so heiß Begehrte: sie läuft ihm nach und umarmt ihn voll Glut, in seinem Gesicht aber staubt nur noch Asche, Abspannung, Kotzen und das Delirium tremens der Übersättigung. Bald ist sein Stiefel das einzige, was von ihm im Bilderrahmen zurückbleibt. Hier fällt mir eine Anekdote ein, die ich in der biographischen Studie Chledowskis über den Grafen Alfieri las, Alfieri, den berühmten Dramatiker, Kraftmenschen, Pferdeliebhaber. Ich setze am besten Chledowskis Worte hierher: „Die Marquise Gabriela Feletti, die Gattin des Marquis Turinetti, war in Turin wegen ihrer zahlreichen Liebesverhältnisse bekannt. Sie beherrschte Alfieri vollkommen; von acht Uhr früh bis Mitternacht war er in ihrem Hanse, er zürnte mit sich selbst, hatte aber nicht die Kraft, sie zu verlassen. Nachdem dies Verhältnis einige Monate gewährt hatte, brach er erschöpft und denerviert zusammen; seine Krankheit, die kein Arzt zu bestimmen vermochte, war mit Konvulsionen und Erbrechen verbunden. Fünf Tage wurde er auf die verschiedenste Art gequält; zur Ader gel lassen, mit Pillen und Mixturen gefüttert, in ein heißes Bad aus Wasser und Öl gelegt. Dieses Bad beruhigte seine Nerven, es wurde einigemal wiederholt, und er war bald geheilt.“

Man bereite das heilende Ölbad für den Helden Masereels! Die ganze Affäre wird nicht so schlimm gewesen sein. Bedarf vielleicht nur diätetisch-hygienischer Behandlung. - Wir aber blättern am besten jene Episode des „Stundenbuches“ auf, sehen nochmals den Beglückten, wie er zart die Pferdestirn und Pferdeschnauze streichelt.

Max Brod

Geschichte Ohne Worte

Chronology

September 12, 2020 ; 6:50:46 PM (UTC) :
Added.

September 13, 2020 ; 4:40:44 PM (UTC) :
Updated.

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